Elephants in Rooms – Monitor 9

Bastian Trost (Berlin – O-Ton: Deutsch)

Ich drehe mich jetzt um, gehe zum Fenster und schaue da raus.

 

Worüber wir nicht sprechen: Warum wir unsere Kleidung nicht selbst nähen und wer die macht.

Wir sprechen nicht darüber, wer dieses Haus hier gebaut und diesen Raum hier tapeziert hat.

Wir sprechen nicht darüber, wer noch hier wohnen könnte, mit uns leben könnte, und wem wir den Platz wegnehmen.

Wir sprechen nicht darüber, was uns motivieren würde, hier wegzugehen.

Und wir sprechen nicht darüber, wer hier in der Zukunft wohnen wird, nach uns.

Wir sprechen nicht darüber, wie dieses Haus hier zusammenbrechen wird, eines Tages. Abgerissen wird. Und dass dann der Raum hier nicht mehr existiert.

 

 

Jetzt wär es schön, was zu trinken. Jetzt wäre es schön, einen Tee zu trinken. Ja. Jetzt hätte ich gerne einen Tee. Jetzt würde ich gerne ‘nen Tee trinken. Jetzt hätte ich gerne einen Tee. Jetzt wäre ein Tee schön.

(beginnt Harfe zu spielen)

Ein Tee wäre schön. Jetzt hätte ich gerne einen Tee. Einfach ‘nen Tee trinken, alle zusammen. ‘nen Tee. ‘nen Tee trinken.

 

Sarah Thom (Sheffield, South Yorkshire – O-Ton: Englisch)

Dieses Fenster zeigt nach Westen. Das bietet mir die Möglichkeit, viele, viele Sonnenuntergänge anzuschauen. Und wenn die Sonne tatsächlich untergegangen ist und es dunkel wird, widme ich meine Aufmerksamkeit der 24-Stunden-Tankstelle dort drüben. Sie hat jeden Tag rund um die Uhr geöffnet. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Die Leute fahren vor, tanken ihre Autos und fahren wieder weg. Und wenn ich mitten in der Nacht wach werde, weil mein Schlaf gestört wurde oder unruhig ist, kann ich hierherkommen, mich hinsetzen und die Autos beobachten, wie sie kommen und wegfahren. Und darüber nachdenken, wo sie wohl hinwollen, mitten in der Nacht.

 

Von meinem Fenster aus sehe ich kleine Reihenhäuser, und bei einigen kommt noch Rauch aus dem Schornstein.

Ich sehe einen Baum, völlig überwuchert von Efeu. Ich frage mich, wie lange der Baum unter all dem Efeu überleben wird.

 

Ja, wer sitzt denn da auf dem Pferd?

Was für eine schöne Kreatur.

Das Pferd, natürlich.

Wer ist das auf dieser schönen Kreatur? Das Pferd, natürlich.

 

Alice Hu (Shanghai – O-Ton: Chinesische Gebärdensprache)

Ich bin gerade von unten hochgekommen. Die Sonne geht unter. Zuhause zu sein, macht mir gute Laune. Manchmal spreche ich im Traum Gebärdensprache.

 

Ich will was erzählen. Ich will euch was erzählen. Viele Leute fragen mich, was ich am wenigsten ausstehen kann… Ich hasse es, wenn Leute mich fragen, wie alt ich bin. Das ist sehr persönlich. Was fällt ihnen ein, mich nach meinem Alter zu fragen? Tatsächlich bin ich 38 Jahre alt. Aber wieso muss ich das überhaupt erwähnen? Ich verstehe mich mit allen Altersgruppen gut. Wir sind alle gleich. Ich möchte nicht, dass die Leute mein Alter erfahren. Das hält eine Frau lieber geheim. Abgemacht? Niemand soll mein Alter erfahren.

 

Ich habe meine Taubheit immer akzeptiert.

Ich habe meine Identität immer als „taub“ akzeptiert.

Ich und die Gebärdensprache sind eins. Manchmal spreche ich im Traum Gebärdensprache, denn ich und die Gebärdensprache sind eins. Und alle verstehen mich. Wieso? Weil auch sie Gebärdensprache können. Ich bin ganz und gar überzeugt: Ich und die Gebärdensprache sind eins.

 

Lynn Fu (New York – O-Ton: Englisch)

Hey, schon mal von der Verbotenen Stadt gehört? Genau, die Verbotene Stadt in Beijing, in China. Ich habe sie vor ungefähr 15 oder 20 Jahren besucht. Ich erinnere mich sehr gut daran, weil es mein erster Besuch war in der Hauptstadt. Hast du gewusst, dass die chinesische Königsfamilie tausende oder hunderte Jahre in der Verbotenen Stadt gelebt hat? Ziemlich lange jedenfalls. Mich hat der Besuch sehr beeindruckt. Am besten erinnere ich mich an die Stadtmauer – wie hoch sie war! Als ich davor stand, habe ich mich so klein gefühlt. Sie ist bestimmt um die zehn Meter hoch; definitiv hoch genug, um die Welt, die sie umfasst, von der Außenwelt hinter der Mauer abzutrennen. Ich habe seitdem in ein paar Büchern über die antiken Zeiten in China und in Korea gelesen, dass Mädchen gern geschaukelt haben. Genau wie ich… ich habe als Kind selbst auch viel Zeit auf der Schaukel verbracht. Und warum war die Schaukel so wichtig? Die Mädchen haben beim Schaukeln manchmal das Glück, am höchsten Punkt einen kurzen Blick auf die Außenwelt zu erhaschen, zu der sie sonst keinen Zugang erhalten. Denn besonders Mädchen aus höheren Gesellschaftsschichten ist es nicht erlaubt, das Haus zu verlassen. Der Moment, in dem sie die Welt da draußen beim Schaukeln für ein oder vielleicht zwei Sekunden gesehen haben, war also der einzige Moment von Freiheit, den sie genießen konnten. Kann man sich das vorstellen?

 

Wenn wir Tee trinken, reden wir nicht über Kaffee. Kaffee oder Tee ist für viele Leute offenbar eine entscheidende Frage. Für mich ist die Antwort sehr einfach. Kaffee am Morgen, Tee am Nachmittag, und abends vorm Schlafengehen trinke ich Wasser – aber nur, wenn ich tief und fest schlafen will. Wann hast du denn zum ersten Mal Kaffee oder Tee getrunken? Ich erinnere mich, dass es bei mir erst ziemlich spät war. Dass ich zum ersten Mal Kaffee getrunken habe, meine ich. Meinen ersten Tee habe ich in sehr guter Erinnerung; ich habe das noch ganz klar vor Augen. Das war bei meinem Vater auf der Arbeit. Als kleines Kind hab ich ihn dort fast jede Woche besucht. Seine Kollegen haben mir Tee eingeschenkt. Das war ein anderer als der, den sie selbst getrunken haben – einen bitteren grünen Tee. Mir haben sie eine Art Goji-Beeren-Tee gegeben. Kennst du Goji-Beeren? Das sind diese kleinen, roten, süßlichen Beeren. Sie haben mir also diesen Tee gegeben, weil ich ja ein kleines Mädchen war und nicht den bitteren grünen Tee trinken sollte. Ja, den mochte ich wirklich sehr gern. Und sie haben mir gesagt, dass er gut für die Augen ist. Ich weiß allerdings nicht, ob da wirklich was dran ist, ich habe nämlich keine besonders guten Augen.

 

Zhao Chuan (Fengxian, Shanghai –  O-Ton: Mandarin)

Ich ordne meine Kleider und setze meinen Hut auf. Ich fühle mich ein bisschen unwohl und schaue aus dem Fenster.

 

Ich kann von hier die Basisstation sehen. Sie sieht aus wie ein Dorn, der in den Himmel sticht, ein düsterer Anblick. Wir kommen nicht mehr ohne sie aus, wir sind auf sie angewiesen. Diese Art von Infrastruktur ist unentbehrlich. Von dort kommen elektromagnetische Wellen. Sie definieren unser Verhältnis zur Welt.

 

Ich sehe viel grünes Gemüse und Bambus, der im Wind weht.

Dieser weite Himmel! Den sieht man in der Stadt nie.

Und die vielen Insekten. Ich sehe sie nicht, aber ich weiß, dass sie da sind.

 

Da ist das Pferd wieder! Wackeres Kerlchen! Ich hoffe, wir wir werden irgendwann zurückkehren in die Stadt.

Da ist das Pferd wieder! Wackeres Kerlchen! Ich hoffe, wir wir werden irgendwann zurückkehren in die Stadt.

Da ist das Pferd wieder! Wackeres Kerlchen! Ich hoffe, wir wir werden bald zurück sein in der Stadt.

 

Sharon Smith (Holbeton, Devon – O-Ton: Englisch)

Ich kann ihre Zukunft nicht sehen.

 

Der Elefant im Raum ist so groß wie der Raum selbst. Der Elefant im Raum ist so groß, dass er im Grunde eins ist mit dem Raum. Er ist… er ist unsere ererbte DNA – enges Arschloch, engstirnig, engherzig, kleinkariert, verklemmt, schnell angegriffen, verbohrt, nicht durchlässig. Vollständig blockiert. Von Scheiße und Blut und Verbocktheiten. Nicht in der Lage, sich zu entwickeln, zu sein. Du wünschst dir zwar ihn zu umgehen, aber es geht nicht anders, du musst ihm begegnen, dem verdammten Elefanten. Um frei zu sein. Von dem ganzen verdammten Schlamassel. Es gibt hier keinen Platz zum Atmen. Leise schluchzen und eine Tasse Tee trinken.