Elephants in Rooms – Monitor 8

July Yang (Nantou, Shenzen – O-Ton: Kantonesisch und Suzhou Dialekt)

Wenn wir Tee trinken, gibt es Dinge, über die wir nicht reden.

Zum Beispiel darüber, wie sehr ich meine Eltern liebe. Zum Beispiel, wann ich heiraten oder Kinder haben werde.

Auch nicht über Elektroautos. Wie umweltfreundlich sie im Vergleich zu herkömmlichen Autos wirklich sind.

Oder über ältere Leute und die Frage, wie deren Sexleben im Alter aussieht.

Darüber redet niemand.

Ah! Und über Philosophie reden wir auch nicht.

 

Jetzt werfe ich mein Haar zurück und räume etwas auf, um die Zeit totzuschlagen.

 

Simon Will (Berlin/Esquinzo, Fuerteventura – O-Ton: Englisch)

Ich warte auf die Ankunft meines Retters.

 

Ich sehe Leute, die ein Ziel vor Augen haben.

Ich sehe die Fenster anderer Leute.

Anderer Leute Aussichten.

Ich sehe Wolken.

Dicke, graue Wolken.

 

Sattelt die Pferde!

 

Bastian Trost (Berlin, O-Ton: Deutsch)

Jetzt scheint die Sonne. Ich sehe den Fernsehturm.

Ich sehe die ganze Siedlung – mit Häusern, die so aussehen wie meins.

Ich sehe den Dom – mit seiner goldenen Spitze.

Ah. Jetzt sehe ich zum ersten Mal das nachgebaute Schloss. Den Turm davon. Die Kuppel.

 

 

Das Zimmer ist nicht groß, aber ich nehme zu viel Platz weg. Wer könnte hier eigentlich leben, wer braucht es mehr? Das ist eine Familienwohnung. Der Architekt hat eine Familienwohnung geplant. Was mache ich hier? Ich nehme einer Familie diesen Platz weg. Ich nehme wahrscheinlich überhaupt zu viel Platz weg. Der Elefant im Raum… bin ich.

 

 

Wir sind hier nicht geboren. Wir leben an Orten, an denen wir nicht geboren sind. Wir sind hierhergekommen. Hatten Träume, Erwartungen. Haben Freunde gefunden. Und haben meistens unsere Eltern zurückgelassen. Und was wir mitgenommen haben, sind die Sachen, die sie uns beigebracht haben. Hier das Stricken, zum Beispiel. Und hier: Das habe ich mitgenommen. Musik machen, das haben mir meine Eltern beigebracht. Hier: Blumen so in die Vase stecken, das hat mir meine Mutter beigebracht. Wir werden wahrscheinlich nicht an dem Ort sterben, an dem wir geboren sind. Wir sind alle neu hier. Wir werden den Ort hier nie so gut kennen, wie die Orte, aus denen wir herkommen. Alles, was hier ist, haben wir mitgebracht. Was da war, war dieser weiße Raum, und wir haben ihn so gefüllt. Alles kommt irgendwoher. Und all das geht wahrscheinlich auch irgendwo hin, wenn wir weg sind. Wir hoffen, dass wir an diesem Ort hier sterben werden, aber wir wissen es natürlich nicht. Eigentlich wissen wir gar nichts.

 

Sean Patten (Brandenburg, O-Ton: Englisch)

Wenn wir Tee trinken, gibt es einiges, über das wir nicht sprechen.

Wir reden nicht über die Person, die die Teeblätter gesammelt hat.

Wir reden nicht darüber, wieso unsere Großmutter nicht aus Ägypten zurückgekommen ist. Wir reden nicht über die Kuh, von der die Milch stammt, die dem Tee die richtige Temperatur gibt.

Wir reden nicht darüber, was Onkel Tony zugestoßen ist.

Und wir reden auch nicht darüber, wie es uns wirklich geht. Nicht wirklich.

Wir trinken einfach nur Tee.

 

Schaut jemand zu? Ist da jemand? Falls ja, lege ich uns ein bisschen Musik auf. Die Art Musik, die man in wohlhabenden Häusern in England gespielt hat – zu einer Zeit, als dieser Wohlstand von der Sklaverei ermöglicht wurde. Sklaverei… Versklavte Menschen aus Afrika haben den Zucker produziert, der den Weg in englische Teetassen fand. Und damals, in den wohlhabenden Häusern, hörten die Leute diese Art Musik.

 

July Yang (Nantou, Shenzen – O-Ton: Kantonesisch und Suzhou Dialekt)

Der Sham-Chun-Fluss ist schmal. An seiner schmalsten Stelle ist er kaum breiter wie eine kleine Gasse. Dieser schmale Fluss trennt Shenzhen und Hongkong in zwei Welten. Im Grunde ist es so, als würde man eine lebendige Person in der Mitte zerteilen. Nach der Teilung entwickelten sich beide Seiten in ganz unterschiedliche Richtungen. Die Seite drüben wurde zu einer komplett anderen Welt. Freiheit. Wohlstand. Das ist Hongkong. Dabei fühlt es sich so an, als würden die Menschen in Hongkong an einem Ort leben, der ihnen nicht gehört. Aber wer entscheidet schon, wem welcher Ort gehört? Früher wollten die Menschen von hier unbedingt rüber auf die andere Seite. Das ist jetzt nicht mehr so. Einerseits ist die andere Seite ganz nah. Über den Fluss hinweg kann man den Menschen dort bei ihrem Alltag zusehen. Wie sie Auto fahren, spazieren gehen, angeln, Kinderwägen ausfahren. Und doch ist es weit weg. Versperrt durch eiserne Zäune. Auch nach der Rückgabe von Hongkong an China gibt es hier immer noch Grenzkontrollen – wie bei der Einreise in ein anderes Land. Ob Shenzhen und Hongkong je wieder zueinanderfinden werden? Und um welchen Preis?

 

Ein Nachbar ruft in Putonghua: Brauchen Sie Hilfe? Geht es Ihnen gut?

 

Ich mach jetzt noch eine Packung Fruchtgummis auf, um diese Kette fertig zu machen.

 

Der Typ, der vorhin gerufen hat, war von der Hausverwaltung. Wir kennen uns nicht. Wenn unsere Blicke sich am offenen Fenster zufällig streifen, tun wir beide so, als hätten wir uns nicht gesehen. Weil wir uns nicht kennen. Wenn man die Fenster offenlässt, kommen sofort Gerüche rein, Wenn jemand auf dem Balkon raucht, riecht es hier drin auch sofort nach Zigaretten. Oder wenn die Nachbarn kochen, vor allem wenn sie scharfe Gerichte kochen, riecht es nach ihrem Essen. Ach ja, und außerdem hängt der Ventilator vom Bad meiner Nachbarn 30 Zentimeter neben meinem Fenster. Ich rieche jeden Tag ihr Duschgel. Ich kann also immer riechen, wenn sie duschen, weiß aber bis heute nicht, wer sie sind. Diese Fenster lassen sich nur einen Spalt breit öffnen. Ich weiß nicht, ob es verhindern soll, dass man von außen einsteigen kann, oder ob es die Leute davon abhalten soll, rauszuspringen.

 

Wetten…Pferdewetten… Wetten…Pferdewetten…Pferdewetten….Pferdewetten…Pferdewetten….Pferdewetten….Wetten…Wetten…Pferdewetten Pferdewetten Pferdewetten sind unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Un…Unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Pferdewetten sind unkonventionell. Und was unkonventionell ist, entzieht sich jeglicher Vernunft.

 

Sharmistha Saha (Bombay – O-Ton: Englisch, Bengali und Hindi)

Von meinem Fenster aus sehe ich die Wolkenkratzer von Bombay.

Von meinem Fenster aus sehe ich eine Moschee.

Von meinem Fenster aus sehe ich Slums.

Von meinem Fenster aus sehe ich die letzten Überbleibsel des gerodeten Waldes.

 

Wie spricht man über den Schmerz, wenn man verliebt ist? Wie spricht man über die Liebe zum eigenen Kind? Ist das nicht der Elefant im Raum? Die feministische Haltung auf der einen Seite und der physische Schmerz auf der anderen Seite – und gleichzeitig dazu die Liebe zum Kind. Wie liebt man seinen Partner, wenn man alle Facetten patriarchaler Gewalt erlebt hat? Es fällt schwer, über diesen Schmerz zu sprechen, wenn man verliebt ist. Oh, mein Kleines; oh, mein Kleines; oh, mein Kleines; oh mein… Mein Kleines. Teil des Mondes. Mein kleiner Frosch, mein kleiner Frosch. Wohin springt mein kleiner Frosch? Er will zu seiner Mutter.

 

Sie singt ein bengalisches Wiegenlied:

Die Tanten, die den Schlaf schenken, kommen uns besuchen. Es gibt keine Betten. Setzt euch, ich bringe euch Betelpfeffer. Greift zu. Mein Kleines findet keinen Schlaf; schenkt ihm Schlaf.

Die Tanten, die den Schlaf schenken, kommen uns besuchen. Es gibt keine Betten. Setzt euch, ich bringe euch süße Pithe. Greift zu. Mein Kleines findet keinen Schlaf; schenkt ihm Schlaf.

Die Tanten, die den Schlaf schenken, kommen uns besuchen. Es gibt keine Betten. Setzt euch, ich bringe euch Betelpfeffer. Greift zu. Mein Kleines findet keinen Schlaf; schenkt ihm Schlaf.