Elephants in Rooms – Monitor 4

Alice Hu (Shanghai – O-Ton: Chinesische Gebärdensprache)

Himmel. Schnee.

 

(Rezitiert in Gebärdensprache ein Gedicht)

 

Ginseng-Oolong-Tee.

Ginseng-Oolong-Tee ist weder Schwarztee noch Grüntee. Er gehört zu den zehn bekanntesten Teesorten Chinas.

Man kennt ihn auch unter dem Namen „Qing-Tee”. Seine Farbe ist grünlich-gelb. Trinke ihn nach vier Minuten Ziehzeit. Das ist eine schöne Farbe, oder? Er fördert auch die Gesundheit. Er riecht so gut. Weißt du, wieso er „Oolong“ heißt? Vor vielen Jahren hat das Teeblatt beim Trocknen in der Sonne die Form eines schwarzen Drachens angenommen: „oo long“.

 

Ich habe meine Taubheit immer akzeptiert.

Ich habe meine Identität immer als „taub“ akzeptiert.

Ich und die Gebärdensprache sind eins. Gebärdensprachen-Poesie.

Ich habe meine Taubheit immer akzeptiert. Gebärdensprache ist, wer ich bin.

Manchmal spreche ich im Traum Gebärdensprache, denn ich und die Gebärdensprache sind eins.

 

July Yang (Nantou, Shenzen – O-Ton: Kantonesisch und Suzhou Dialekt)

Der Sham-Chun-Fluss ist schmal. An seiner schmalsten Stelle ist er kaum breiter wie eine kleine Gasse. Dieser schmale Fluss trennt Shenzhen und Hongkong in zwei Welten. Im Grunde ist es so, als würde man eine lebendige Person in der Mitte zerteilen. Nach der Teilung entwickelten sich beide Seiten in ganz unterschiedliche Richtungen. Die Seite drüben wurde zu einer komplett anderen Welt. Freiheit. Wohlstand. Das ist Hongkong. Dabei fühlt es sich so an, als würden die Menschen in Hongkong an einem Ort leben, der ihnen nicht gehört. Aber wer entscheidet schon, wem welcher Ort gehört? Früher wollten die Menschen von hier unbedingt rüber auf die andere Seite. Das ist jetzt nicht mehr so. Einerseits ist die andere Seite ganz nah. Über den Fluss hinweg kann man den Menschen dort bei ihrem Alltag zusehen. Wie sie Auto fahren, spazieren gehen, angeln, Kinderwägen ausfahren. Und doch ist es weit weg. Versperrt durch eiserne Zäune. Auch nach der Rückgabe von Hongkong an China gibt es hier immer noch Grenzkontrollen – wie bei der Einreise in ein anderes Land. Ob Shenzhen und Hongkong je wieder zueinanderfinden werden? Und um welchen Preis?

 

Ein Nachbar ruft in Putonghua: Brauchen Sie Hilfe? Geht es Ihnen gut?

 

Ich mach jetzt noch eine Packung Fruchtgummis auf, um diese Kette fertig zu machen.

 

Der Typ, der vorhin gerufen hat, war von der Hausverwaltung. Wir kennen uns nicht. Wenn unsere Blicke sich am offenen Fenster zufällig streifen, tun wir beide so, als hätten wir uns nicht gesehen. Weil wir uns nicht kennen. Wenn man die Fenster offenlässt, kommen sofort Gerüche rein, Wenn jemand auf dem Balkon raucht, riecht es hier drin auch sofort nach Zigaretten. Oder wenn die Nachbarn kochen, vor allem wenn sie scharfe Gerichte kochen, riecht es nach ihrem Essen. Ach ja, und außerdem hängt der Ventilator vom Bad meiner Nachbarn 30 Zentimeter neben meinem Fenster. Ich rieche jeden Tag ihr Duschgel. Ich kann also immer riechen, wenn sie duschen, weiß aber bis heute nicht, wer sie sind. Diese Fenster lassen sich nur einen Spalt breit öffnen. Ich weiß nicht, ob es verhindern soll, dass man von außen einsteigen kann, oder ob es die Leute davon abhalten soll, rauszuspringen.

 

Wetten…Pferdewetten… Wetten…Pferdewetten…Pferdewetten….Pferdewetten…Pferdewetten….Pferdewetten….Wetten…Wetten…Pferdewetten Pferdewetten Pferdewetten sind unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Un…Unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Unkonventionell. Pferdewetten sind unkonventionell. Und was unkonventionell ist, entzieht sich jeglicher Vernunft.

 

Sean Patten (Brandenburg – O-Ton: Englisch)

Ich bin eine Stunde raus gefahren aus Berlin, um hier in der Natur zu sein.

Aber hier ist es nicht natürlich. Es gibt Pflanzen, aber alles, was ich sehe, wurde von Menschenhand geformt.

Ich sehe Bäume, die gepflanzt wurden, um Grundstücke abzutrennen und Besitz zu markieren.

Da drüben sehe ich ein mit Schilf bewachsenes Stück Land, das darauf wartet, dass der Grundstückpreis ansteigt, damit sich ein Hausbau lohnt.

Da ist der Komposthaufen meiner Nachbarn, wo Grasschnitt und misslungene Karotten verrotten.

Und da ist ein Holzstapel. Holzscheite, die darauf warten, verbrannt zu werden. Genug für zwei oder drei Winter.

Vor allem sehe ich, wie sich das Land langsam aber sicher wieder in die Sumpflandschaft zurückverwandelt, die es schon immer gewesen ist.

 

Sollen wir über den Elefanten im Raum sprechen? Ist das der Elefant im Raum? Oder das? Natur. Kolonisiert und erobert. Ist es nicht so, mein Freund? Bin ich der Kolonisator? Ich meine: von diesem Dorf? Landkreis Dahme-Spree. Leute wie ich kommen her und kaufen sich hier ein Wochenendhaus. Ich gehöre nicht zur einheimischen Gattung. Ich spreche nicht mal wirklich die Sprache. Ich bin der Elefant im Raum. Ich bin der Elefant in diesem Dorf. Bin ich die Gentrifizierung; bin ich der Brandstifter? Ja? Ich nehme das Dorf ein. Schritt für Schritt. Leute wie ich machen das. Außenstehende. Meine Nachbarn dort drüben hatten ein wunderschönes Haus am Wasser, aber der westdeutsche Eigentümer hat vor kurzem seine Besitzansprüche aus Zeiten vor der DDR geltend gemacht. Deshalb sind sie in das kleine Haus dort drüben gezogen. Das alles haben sie den Fremden zu verdanken, den Elefanten im Raum – Leuten wie mir.

 

Sharon Smith (Holbeton, Devon – O-Ton: Englisch)

Wir sprechen nicht darüber, wie viel Geld wir auf dem Konto haben.

Wir sprechen nicht über unser düstersten und beschämendsten Verlangen.

 

Möchte jemand Tee?

 

Lynn Fu (New York – O-Ton: Englisch)

Vor meinem Fenster steht ein Kirschblütenbaum.

Jedes Frühjahr ist er immer wieder ein wunderschöner Anblick, wenn er blüht.

Er erinnert mich an Japan und an die Hanami-Tradition der Kirschblütenfeste.

Aber jetzt sieht man keine Blüten, es ist noch nicht so weit.

Es ist noch Winter, also…

Es ist trotzdem schön, diese kleinen Knospen am Baum zu sehen und zu wissen, dass in ein paar Monaten die Blüten sprießen, wenn der Frühling kommt. Hm…

Die Gegend, in der ich hier wohne, ist ziemlich ruhig, wie du sehen kannst.

Nur selten fährt ein Auto vorbei, es ist eine richtige Wohngegend.

Auf der anderen Straßenseite – hinter den Bäumen – stehen auch Häuser.

Ich kenne die Leute im Haus nicht.

Ich habe gehört, dass direkt nebenan eine deutsche Familie gewohnt haben soll, aber die ist neulich ausgezogen.

Jetzt zieht eine koreanische Familie ein.

Ich habe sie aber noch nicht kennengelernt.

Falls sie mich mal zum Essen einladen sollten, werde ich auf jeden Fall hingehen, denn ich liebe koreanisches Essen. Ja, wirklich!

 

备马!(Sattelt das Pferd!)

Es gibt ein chinesisches Sprichwort: 白马王子. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Prinz auf dem weißen Pferd“. Ich habe mich immer gefragt, wieso eigentlich ein Prinz auf einem weißen Pferd? Wieso kein schwarzes Pferd? Ich meine, im echten Leben sehe ich meistens Pferde in ganz unterschiedlichen Farben: grau, braun, schwarz oder auch mal gestreift, aber eben selten weiß. Wieso muss es also ein weißes Pferd sein? Wieso? Kann ein Prinz nicht auch ein schwarzes Pferd reiten? Wäre er denn weniger Prinz, wenn er ein schwarzes Pferd reiten würde? Hm… 白马王子.

 

Alice Hu (Shanghai – O-Ton: Chinesische Gebärdensprache)

Ich bin gerade von unten hochgekommen. Die Sonne geht unter. Zuhause zu sein, macht mir gute Laune. Manchmal spreche ich im Traum Gebärdensprache.

 

Ich will was erzählen. Ich will euch was erzählen. Viele Leute fragen mich, was ich am wenigsten ausstehen kann… Ich hasse es, wenn Leute mich fragen, wie alt ich bin. Das ist sehr persönlich. Was fällt ihnen ein, mich nach meinem Alter zu fragen? Tatsächlich bin ich 38 Jahre alt. Aber wieso muss ich das überhaupt erwähnen? Ich verstehe mich mit allen Altersgruppen gut. Wir sind alle gleich. Ich möchte nicht, dass die Leute mein Alter erfahren. Das hält eine Frau lieber geheim. Abgemacht? Niemand soll mein Alter erfahren.

 

Ich habe meine Taubheit immer akzeptiert.

Ich habe meine Identität immer als „taub“ akzeptiert.

Ich und die Gebärdensprache sind eins. Manchmal spreche ich im Traum Gebärdensprache, denn ich und die Gebärdensprache sind eins. Und alle verstehen mich. Wieso? Weil auch sie Gebärdensprache können. Ich bin ganz und gar überzeugt: Ich und die Gebärdensprache sind eins.