Elephants in Rooms – Monitor 2

Sharmistha Saha (Bombay – O-Ton: Englisch, Bengali und Hindi)

Wie interessant, dass Identität so eine wichtige Rolle für uns spielt. Vor ein paar Tagen hat die indische Regierung ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz verabschiedet – Citizenship Amendment Act. Dieses Gesetz sieht vor, dass Opfer religiöser Gewalt aus den Nachbarstaaten Afghanistan, Pakistan und Bangladesch nach Indien einreisen und die indische Staatsbürgerschaft beantragen können. Mit Ausnahme von muslimischen Menschen! Wir blenden also politische Morde an Muslimen in diesen Ländern aus! Und was ist mit religiöser Gewalt in Indien? Zum Beispiel die Spaltung Indiens. Die Ausschreitungen in Gujarat 2002. Oder die Ausschreitungen im Jahr 1984. Oder Kaschmir. Oder aktueller: Die Lynchmorde. Der Lynchmord von Dadri. Wie können wir das vergessen? Wie können wir die Gewalt vergessen, die auf einem Kastensystem basiert? Und geschlechtsspezifische Gewalt, was ist damit? Wir, die wir unter dem Patriarchat leiden, welches Land nennen wir unser Eigen? Was für ein Staatsbürgerschaftsgesetz müsste für Leute wie uns verabschiedet werden?

Ehrlich, wir können davon ausgehen, dass dieses neue Gesetz der indischen Regierung auf vorgetäuschter Besorgnis beruht. Oder sie haben noch andere Motive.

 

Wir sprechen nicht über postnatale Depression beim Tee.

Wir sprechen nicht über Verhütungsmethoden für den Mann beim Tee.

Wir sprechen auch nicht über Vergewaltigung in der Ehe beim Tee.

 

Alice Hu (Shanghai – O-Ton: Chinesische Gebärdensprache)

Zwei Kinder beobachten mich. Hoffentlich können sie sehen, was ich hier mache. Es ist wie die Sonne, die auf mich scheint. Ein lachendes Gesicht. Ein paar der Nachbarn schauen herüber. Sie schauen immer noch.

 

Es ist seltsam… nachdem wir wegen der Pandemie zu Hause festsaßen… Ich erzähl dir mal was Merkwürdiges: In China bleiben alle brav zum Selbstschutz zu Hause. Nach einem negativen Testergebnis isolieren sie sich in der eigenen Wohnung. Wer aber positiv getetest wird, rennt draußen herum und verbreitet das Virus weiter. In Europa ist das Gegenteil der Fall, stimmt’s? Findest du das nicht seltsam?

 

Manchmal träume ich, alle verstehen mich, wenn ich in Gebärdensprache kommuniziere. Alle. Sogar du. Alle kommunizieren in Gebärdensprache. Und ich verstehe sie.

 

Anuja Ghosalkar (Bangalore – O-Ton: Englisch)

Ich weiß nicht, wer nebenan wohnt, aber diese Leute können in mein Leben spähen.

Ich weiß nicht, wie sie aussehen – vielleicht anders als ich.

Manchmal höre ich die Kinder jammern und die Frauen kreischen, aber die Männer höre ich nie. Ich frage mich, wieso.

Ihre Lichter leuchten bläulich, mein Haus ist in ein sattes, warmes Licht gehüllt.

Manchmal ist mir das peinlich.

 

Taucht das schummrig beleuchtete Teehaus in deinen Träumen auf? Erinnert dich der Duft von zu lang gezogenem Tee an meine Haut? Findest du den Weg zurück zum Teehaus, vor dem wir einmal standen, wenn du diesen Tee trinkst? Gefällt dir der Rhythmus unserer Körper, die sich in der Dunkelheit bewegen? Schwarzer Tee, weiße Milch, Zucker, der langsam von deinen Lippen über meine Oberschenkel tropft.

 

Ich werde jetzt eine Minute lang schweigen.

 

Das unausgesprochene Problem im Raum bin manchmal ich. Manchmal bin ich der Elefant im Raum. Meine Art zu gehen, meine Hüften sprengen den Rahmen. Der Elefant im Raum bin ich. Ich rede zu hastig, meine Gedanken sind zu unruhig, meine Zunge zu scharf. Ich bin viel zu viel. Der Elefant im Raum bin ich; mein meckerndes Lachen. Wieso kann ich nicht still meinen Tee trinken, wie auf einem europäischen Gemälde? Der Elefant im Raum bin ich. Viel zu viel. Ich bin keine sanfte Schönheit und nicht gerade ansprechend für das ungeübte Auge. Der Elefant im Raum bin ich. Laut, groß, gewagt, ich selbst. Es fällt mir nicht leicht, mich klein zu machen. Der Elefant im Raum bin ich.

 

Bastian Trost (Berlin – O-Ton: Deutsch)

Ich drehe mich jetzt um, gehe zum Fenster und schaue da raus.

 

Worüber wir nicht sprechen: Warum wir unsere Kleidung nicht selbst nähen und wer die macht.

Wir sprechen nicht darüber, wer dieses Haus hier gebaut und diesen Raum hier tapeziert hat.

Wir sprechen nicht darüber, wer noch hier wohnen könnte, mit uns leben könnte, und wem wir den Platz wegnehmen.

Wir sprechen nicht darüber, was uns motivieren würde, hier wegzugehen.

Und wir sprechen nicht darüber, wer hier in der Zukunft wohnen wird, nach uns.

Wir sprechen nicht darüber, wie dieses Haus hier zusammenbrechen wird, eines Tages. Abgerissen wird. Und dass dann der Raum hier nicht mehr existiert.

 

 

Jetzt wär es schön, was zu trinken. Jetzt wäre es schön, einen Tee zu trinken. Ja. Jetzt hätte ich gerne einen Tee. Jetzt würde ich gerne ‘nen Tee trinken. Jetzt hätte ich gerne einen Tee. Jetzt wäre ein Tee schön.

(beginnt Harfe zu spielen)

Ein Tee wäre schön. Jetzt hätte ich gerne einen Tee. Einfach ‘nen Tee trinken, alle zusammen. ‘nen Tee. ‘nen Tee trinken.

 

Berit Stumpf (Berlin/Bayrischzell – O-Ton: Deutsch)

Ich würde euch gern was erzählen. Hört ihr zu? Es ist nämlich so: Wir waren schon immer hier. So wurde es uns zumindest erzählt. Man kann es von hier aus nicht ganz sehen, aber

es ist nicht weit – nur ein paar hundert Kilometer weiter westlich – da ist der Ort, wo unsere Geschichte begann. Es gibt keine Geschichte von uns außerhalb dieses Ortes, außerhalb dieses Landes. Und wenn es sie gibt, dann wurde sie uns nie erzählt. Es heißt, wir seien die Ersten hier gewesen – oder unter den Ersten. Über Generationen und Generationen hat es uns hier schon immer gegeben. Das halbe Dorf trägt unseren Namen.

Auch wenn es kein besonders schöner Name ist. Wir tragen ihn heute noch. Dieser Name, unser Name, stand auch über der ersten Bäckerei am Ort. Da haben wir das Brot gebacken, mit dem quasi das ganze Dorf ernährt wurde – auch im Krieg. Da haben wir es auf Karren geschnallt und in die Stadt gezogen, als die Lebensmittel knapp wurden, und dort gegen kostbare Güter wie Zucker und Kaffee eingetauscht. Wir haben alles überlebt. Wir haben das Dorf damals mit eigenen Händen aufgebaut, unsere Häuser gebaut. Und als alles kaputt war und zerbombt und in Schutt und Asche lag, da haben wir es wieder aufgebaut. Wir sind nicht kaputt zu kriegen. Unser Name ist wie ein Messer, dem die Schärfe abhandengekommen ist: Stumpf – so heißen wir. Wir sind ziemlich zäh und hart gesotten. Und vielleicht ein bisschen grobschlächtig. Es gibt auch einige Schlachter unter uns. Wir können töten. Ja, manche würden sagen, dass wir nicht besonders empfindsam sind. Wir sind uns selbst die Nächsten. Alle, die hier wohnen, sehen so aus wie wir. Wir kennen es nicht anders. Fast nie ist jemand von uns weggegangen. Es gab keinen Grund dafür. Das Selbstverständnis, dass wir hierhergehören und dass es daran keinen Zweifel gibt, wurde uns in die Wiege gelegt. Wir mussten nie fliehen. Waren wir wirklich die Ersten, die genau das nicht mehr ausgehalten haben, die wussten, wir müssen hier raus? Aber – sind wir wirklich gegangen? Oder sind wir immer noch hier?

 

Ich werde mich jetzt fertig machen und versuchen, genau das richtige Maß zu finden. Nicht zu viel und nicht zu wenig.

 

Tee! Tee! Ich bräuchte einen Tee, bitte! Es bringe mir jemand Tee!

 

Von hier aus, von meiner Wohnung hier, im ersten Stock, kann ich den Himmel sehen, den Himmel über Berlin. Wie weiß und farblos er heute ist.

Ich kann unsere Straße hinuntersehen, wo inzwischen jedes Haus saniert ist, jeder Altbau. Und jede Baulücke geschlossen. Wo man sich die Wohnungen – Wohnungen wie meine hier – kaum mehr leisten kann.

Ich kann nach Norden sehen. Über meinen Nordbalkon hinweg. Auf den Neubau, der mir direkt vor die Nase gesetzt wurde, in die letzte Baulücke hinein. Manchmal laufen auf dem Dach dieses Neubaus nackte, dampfende Menschen herum, die gerade aus der Sauna kommen, die da draufgesetzt wurde. Wenn ich sie sehe, vergehe ich vor Neid.

Ich sehe dicke Autos in unserer Straße, Frauen mit schnellem und selbstbewusstem Schritt und Kinderwägen. Frauen, die wie ich hierhergezogen sind, als die Mieten noch billig waren. Ich sehe die Geste und Haltung der Erobernden um mich herum. Und frage mich, ob ich eine von ihnen bin.

Ich sehe da drüben eine Plastiktüte, die in den Ästen von diesem kahlen Baum feststeckt – schon seit Tagen.

 

Schnallt die Pferde an! Ich wäre soweit.

Hopp, hopp!

Spannt die Pferde vor! Ich wäre soweit.

Hopp, hopp!

Schnallt die Pferde vor! Ich wäre soweit.

Hopp, hopp!

Spannt die Pferde vor! Ich wäre soweit.

Hopp, hopp!

Spannt die Pferde vor! Ich wäre soweit.

Hopp, hopp!

 

Bhavana Rajendran (Bangalore – O-Ton: Englisch und Malayalam)

Ich sehe meinen Nachbarn.

Die Gebäude sehen alle vollkommen gleich aus.

Dort stand ein Baum. Und da. Und dort drüben.

Auf der Straße ist immer viel los.

 

Der Elefant im Raum, das sind wir. Wann hören wir auf, immer mehr zu wollen? Ich verstehe das nicht. Der ständige Drang, zu besitzen. Meins, meins, meins. Unsere Gier – Hauptsache Ich. Unsere Rastlosigkeit. Wir schinden Tiere. Wir schinden andere Menschen. Wir schinden die Natur. Wir schinden die Natur. Wann haben wir alle endlich genug?

 

Lange Zeit habe ich mich selbst eigentlich immer als einen Schwarzweißen Mensch gesehen. Ich habe mir Kategorien ausgedacht, damit ich mich selber besser einordnen kann. Aber im Laufe der Jahre ist mir klar geworden, dass ich anders bin und nicht ansatzweise den Erwartungen der Gesellschaft entspreche. Ich bin aufsässig. Nicht weil ich herausfordernd sein möchte, sondern einfach dadurch, wie ich eben mein Leben führe. Wenn ich mir selbst treu bin, ergibt es sich einfach so. Ich denke, ich bin eben nicht Schwarzweiß. Ich bin grau mit hellrosa Sprenkeln und türkisen Punkten. Freiheit ist für mich, mir selbst treu zu bleiben, eigenständig zu sein. Wortlos. Das ist die Fähigkeit, meine Ruhe inmitten von Chaos zu finden. Für mich bedeutet mein Alleinsein Freiheit.