Sharon Smith (Holbeton, Devon – O-Ton: Englisch)
Wir sprechen nicht darüber, wie viel Geld wir auf dem Konto haben.
Wir sprechen nicht über unser düstersten und beschämendsten Verlangen.
Möchte jemand Tee?
Lynn Fu (New York – O-Ton: Englisch)
Vor meinem Fenster steht ein Kirschblütenbaum.
Jedes Frühjahr ist er immer wieder ein wunderschöner Anblick, wenn er blüht.
Er erinnert mich an Japan und an die Hanami-Tradition der Kirschblütenfeste.
Aber jetzt sieht man keine Blüten, es ist noch nicht so weit.
Es ist noch Winter, also…
Es ist trotzdem schön, diese kleinen Knospen am Baum zu sehen und zu wissen, dass in ein paar Monaten die Blüten sprießen, wenn der Frühling kommt. Hm…
Die Gegend, in der ich hier wohne, ist ziemlich ruhig, wie du sehen kannst.
Nur selten fährt ein Auto vorbei, es ist eine richtige Wohngegend.
Auf der anderen Straßenseite – hinter den Bäumen – stehen auch Häuser.
Ich kenne die Leute im Haus nicht.
Ich habe gehört, dass direkt nebenan eine deutsche Familie gewohnt haben soll, aber die ist neulich ausgezogen.
Jetzt zieht eine koreanische Familie ein.
Ich habe sie aber noch nicht kennengelernt.
Falls sie mich mal zum Essen einladen sollten, werde ich auf jeden Fall hingehen, denn ich liebe koreanisches Essen. Ja, wirklich!
备马!(Sattelt das Pferd!)
Es gibt ein chinesisches Sprichwort: 白马王子. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Prinz auf dem weißen Pferd“. Ich habe mich immer gefragt, wieso eigentlich ein Prinz auf einem weißen Pferd? Wieso kein schwarzes Pferd? Ich meine, im echten Leben sehe ich meistens Pferde in ganz unterschiedlichen Farben: grau, braun, schwarz oder auch mal gestreift, aber eben selten weiß. Wieso muss es also ein weißes Pferd sein? Wieso? Kann ein Prinz nicht auch ein schwarzes Pferd reiten? Wäre er denn weniger Prinz, wenn er ein schwarzes Pferd reiten würde? Hm… 白马王子.
Bhavana Rajendran (Bangalore – O-Ton: Englisch und Malayalam)
Ich sehe meinen Nachbarn.
Die Gebäude sehen alle vollkommen gleich aus.
Dort stand ein Baum. Und da. Und dort drüben.
Auf der Straße ist immer viel los.
Der Elefant im Raum, das sind wir. Wann hören wir auf, immer mehr zu wollen? Ich verstehe das nicht. Der ständige Drang, zu besitzen. Meins, meins, meins. Unsere Gier – Hauptsache Ich. Unsere Rastlosigkeit. Wir schinden Tiere. Wir schinden andere Menschen. Wir schinden die Natur. Wir schinden die Natur. Wann haben wir alle endlich genug?
Lange Zeit habe ich mich selbst eigentlich immer als einen Schwarzweißen Menschen gesehen. Ich habe mir Kategorien ausgedacht, damit ich mich selbst besser einordnen kann. Aber im Laufe der Jahre ist mir klar geworden, dass ich anders bin und nicht ansatzweise den Erwartungen der Gesellschaft entspreche. Ich bin aufsässig. Nicht weil ich herausfordernd sein möchte, sondern einfach dadurch, wie ich eben mein Leben führe. Wenn ich mir selbst treu bin, ergibt es sich einfach so. Ich denke, ich bin eben nicht Schwarzweiß. Ich bin grau mit hellrosa Sprenkeln und türkisen Punkten. Freiheit ist für mich, mir selbst treu zu bleiben, eigenständig zu sein. Wortlos. Das ist die Fähigkeit, meine Ruhe inmitten von Chaos zu finden. Für mich bedeutet mein Alleinsein Freiheit.
Sharmistha Saha (Bombay – O-Ton: Englisch, Bengali und Hindi)
Wie interessant, dass Identität so eine wichtige Rolle für uns spielt. Vor ein paar Tagen hat die indische Regierung ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz verabschiedet – Citizenship Amendment Act. Dieses Gesetz sieht vor, dass Opfer religiöser Gewalt aus den Nachbarstaaten Afghanistan, Pakistan und Bangladesch nach Indien einreisen und die indische Staatsbürgerschaft beantragen können. Mit Ausnahme von muslimischen Menschen! Wir blenden also politische Morde an muslimischen Menschen in diesen Ländern aus! Und was ist mit religiöser Gewalt in Indien? Zum Beispiel die Spaltung Indiens. Die Ausschreitungen in Gujarat 2002. Oder die Ausschreitungen im Jahr 1984. Oder Kaschmir. Oder aktueller: Die Lynchmorde. Der Lynchmord von Dadri. Wie können wir das vergessen? Wie können wir die Gewalt vergessen, die auf einem Kastensystem basiert? Und geschlechtsspezifische Gewalt, was ist damit? Wir, die wir unter dem Patriarchat leiden, welches Land nennen wir unser Eigen? Was für ein Staatsbürgerschaftsgesetz müsste für Leute wie uns verabschiedet werden?
Ehrlich, wir können davon ausgehen, dass dieses neue Gesetz der indischen Regierung auf vorgetäuschter Besorgnis beruht. Oder sie haben noch andere Motive.
Wir sprechen nicht über postnatale Depression beim Tee.
Wir sprechen nicht über Verhütungsmethoden für den Mann beim Tee.
Wir sprechen auch nicht über Vergewaltigung in der Ehe beim Tee.
Alice Hu (Shanghai – O-Ton: Chinesische Gebärdensprache)
Zwei Kinder beobachten mich. Hoffentlich können sie sehen, was ich hier mache. Es ist wie die Sonne, die auf mich scheint. Ein lachendes Gesicht. Ein paar der Nachbarn schauen herüber.
Es ist seltsam… nachdem wir wegen der Pandemie zu Hause festsaßen… ich erzähl dir mal was Merkwürdiges: In China bleiben alle brav zum Selbstschutz zu Hause. Nach einem negativen Testergebnis isolieren sie sich in der eigenen Wohnung. Wer aber positiv getetest wird, rennt draußen herum und verbreitet das Virus weiter. In Europa ist das Gegenteil der Fall, stimmt’s? Findest du das nicht seltsam?
Manchmal träume ich, alle verstehen mich, wenn ich in Gebärdensprache kommuniziere. Alle. Sogar du. Alle kommunizieren in Gebärdensprache. Und ich verstehe sie.
Bastian Trost (Berlin – O-Ton: Deutsch)
Jetzt scheint die Sonne. Ich sehe den Fernsehturm.
Ich sehe die ganze Siedlung – mit Häusern, die so aussehen wie meins.
Ich sehe den Dom – mit seiner goldenen Spitze.
Ah. Jetzt sehe ich zum ersten Mal das nachgebaute Schloss. Den Turm davon. Die Kuppel.
Das Zimmer ist nicht groß, aber ich nehme zu viel Platz weg. Wer könnte hier eigentlich leben, wer braucht es mehr? Das ist eine Familienwohnung. Der Architekt hat eine Familienwohnung geplant. Was mache ich hier? Ich nehme einer Familie diesen Platz weg. Ich nehme wahrscheinlich überhaupt zu viel Platz weg. Der Elefant im Raum… bin ich.
Wir sind hier nicht geboren. Wir leben an Orten, an denen wir nicht geboren sind. Wir sind hierhergekommen. Hatten Träume, Erwartungen. Haben Freunde gefunden. Und haben meistens unsere Eltern zurückgelassen. Und was wir mitgenommen haben, sind die Sachen, die sie uns beigebracht haben. Hier das Stricken, zum Beispiel. Und hier: Das habe ich mitgenommen. Musik machen, das haben mir meine Eltern beigebracht. Hier: Blumen so in die Vase stecken, das hat mir meine Mutter beigebracht. Wir werden wahrscheinlich nicht an dem Ort sterben, an dem wir geboren sind. Wir sind alle neu hier. Wir werden den Ort hier nie so gut kennen, wie die Orte, aus denen wir herkommen. Alles, was hier ist, haben wir mitgebracht. Was da war, war dieser weiße Raum, und wir haben ihn so gefüllt. Alles kommt irgendwoher. Und all das geht wahrscheinlich auch irgendwo hin, wenn wir weg sind. Wir hoffen, dass wir an diesem Ort hier sterben werden, aber wir wissen es natürlich nicht. Eigentlich wissen wir gar nichts.