Sarah Thom (Berlin – O-Ton: Englisch)
Ich werde hier etwas sitzen und den Tag vorüberziehen lassen.
Wir sprechen nie über unser Strafregister, unsere kriminelle Vergangenheit und die Verbrechen, die wir begangen haben.
Wir erwähnen nie unseren rassistischen Großvater und bemühen uns, ihn zu verschweigen.
Niemand kennt unsere Gedanken und weiß, wie gewalttätig sie sind.
Sean Patten (Brandenburg – O-Ton: Englisch)
Einen guten Tag wünsche ich! Guten Tag, der Herr! Guten Tag, gnädige Frau!
Ich werde jetzt die Teetasse anstarren, als ob da drin die Lösung all meiner Probleme läge, und dann melancholisch seufzen.
Schluss jetzt! 3, 2, 1, stopp! Tee? Tee! Ich brauche einen Tee. Hallo? Würden Sie mir noch einmal nachgießen? Würden Sie mir noch einmal Tee nachgießen? Haben Sie Tee? Hallo? Egal, welche Sorte.
Ich liebe Tee. Ich habe schon Tee getrunken, als ich noch nicht einmal laufen konnte. Oder sprechen. Das liegt in der Familie. 1894 eröffnete ein britischer Geschäftsmann namens Joseph Lyons einen Laden, in dem er Tee, belegte Brote und Kuchen verkaufte, und es kam sehr gut an. Es dauerte nicht lang und in ganz Großbritannien eröffneten unzählige dieser Teeläden. Das Geschäft wuchs und expandierte, und Joe Lyons wurde mit der Verpflegung der britischen Armee beauftragt. Die hatte in Malawi ihre eigene Teeplantage. Der Betrieb entwickelte sich zum ersten multinationalen Lebensmittelkonzern der Welt. Und in einem dieser Teeläden arbeitete meine Großmutter als „Nippy“, also als “flinke“ Kellnerin, alle gleich gekleidet in Schürze und Häubchen. Diesen Job hat man bekommen, wenn man ein freundliches Auftreten und elegante Hände hatte. Elegante Hände. Im gleichen Laden arbeitete mein Großvater an der Theke. So haben sie sich kennengelernt, sie heirateten und bekamen fünf Kinder – darunter meine Mutter. Ohne Joe Lyons und sein multinationales Tee-Imperium gäbe es mich also nicht.
Aus diesem Fenster kann man etwas von der Landschaft sehen, etwa 50 Kilometer süd-östlich von Berlin.
Ich komme hierher in meine Datsche, um in der Natur zu sein.
Ich kann den Gemüsegarten der Nachbarn sehen. Die Erde ist so feucht, dass hier nichts als Sumpfgras wächst.
Am Horizont sehe ich den Waldrand, wo vor nicht allzu langer Zeit, vor der Lebzeit nur eines Menschen, eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges ausgetragen wurde: die Kesselschlacht von Halbe. Noch heute werden Knochen im Wald gefunden.
Ich sehe zwei Pferde hinter einem orangenen Plastikzaun.
Was für ein wunderschönes Pferd Sie da haben, mein Herr! Ein wunderschönes Pferd. Das würden Sie sicher nicht gegen den gesamten Tee in China eintauschen.
Was für ein Pferd! Das würden Sie sicher nicht gegen den gesamten Tee in China eintauschen. Das würden Sie sicher nicht gegen den gesamten Tee in China eintauschen.
Das würden Sie sicher nicht gegen den gesamten Tee in China eintauschen.
Das würden Sie sicher nicht gegen den gesamten Tee in China eintauschen.
Sharon Smith (Holbeton, Devon – O-Ton: Englisch)
Ich kann ihre Zukunft nicht sehen.
Der Elefant im Raum ist so groß wie der Raum selbst. Der Elefant im Raum ist so groß, dass er im Grunde eins ist mit dem Raum. Er ist… er ist unsere ererbte DNA: enges Arschloch, engstirnig, engherzig, kleinkariert, verklemmt, schnell angegriffen, verbohrt, nicht durchlässig. Vollständig blockiert. Von Scheiße und Blut und Verbocktheiten. Nicht in der Lage, sich zu entwickeln, zu sein. Du wünschst dir zwar, ihn zu umgehen, aber es geht nicht anders, du musst ihm begegnen, dem verdammten Elefanten. Um frei zu sein. Von dem ganzen verdammten Schlamassel. Es gibt hier keinen Platz zum Atmen. Leise schluchzen und eine Tasse Tee trinken.
Berit Stumpf (Berlin/Bayrischzell – O-Ton: Deutsch)
Ich werde jetzt versuchen, mein Familienerbe aufzupolieren und mich daran zu erfreuen. Mit Long-Term Silver Polish.
Wenn wir Tee trinken, dann reden wir nicht darüber, dass in unserer Familie eigentlich gar kein Tee getrunken wurde, außer man war krank.
Dass Tee als ein Getränk der feineren Gesellschaft galt. Und dass wir nur damit angefangen haben, Tee zu trinken, um dazuzugehören.
Wir reden nicht über die jüdische Familie, in der meine Oma Lisbeth gelernt hat, wie man Tee richtig trinkt und serviert. Und was dann mit dieser jüdischen Familie passiert ist.
Wir reden nicht über den Krieg und Opa Fritz und warum er sich vor zwölf Jahren das Leben genommen hat.
Wir reden auch nicht über Ranjid Kumar, unser indisches Patenkind, und was er alles in Kauf nehmen musste für das Geld, das mein Vater ihm monatlich überwiesen hat – für seine christliche Erziehung.
Wir reden nicht gern über das, was uns von anderen trennt.
Das viele Geld zum Beispiel, das gerade auf unserem Konto gelandet ist, ohne dass wir irgendwas dafür tun mussten.
Johanna Freiburg (Berlin – O-Ton: Deutsch)
Ich werde jetzt an etwas denken und mit dem Taschentuch einen Schrei unterdrücken. Ich werde ein frisches Taschentuch benutzen.
Ich habe mich bereit gemacht. Ich kann unmöglich noch mehr bereit sein!
Von da, wo ich stehe, sehe ich eine windzerfetzte Europafahne.
Ich sehe auf dem Dach einen großen Mercedes-Stern, der sich unaufhörlich um sich selber dreht. Der Mercedes-Stern ist eine Werbung für ein Autohaus, das es nicht mehr gibt. Es ist vor Kurzem an den Stadtrand gezogen.
Wenn ich mich strecke, sehe ich die oberste Spitze des Fernsehturms auf dem Alex, gebaut in der DDR, in einem Land, das es nicht mehr gibt.
Werden Sie mich einladen?
Jetzt, wo ich die Schleife so neckisch gebunden habe?
Für eine Fahrt mit Ihrem neuen Pferd?
Werden Sie mich einladen?
Für eine Fahrt mit Ihrem neuen Pferd?
Werden Sie mich einladen für eine Fahrt mit Ihrem neuen Pferd?
Berit Stumpf (Berlin/Bayrischzell – O-Ton: Deutsch)
Ich kann von hier aus die bodentiefen Fenster meiner Nachbarn sehen. Ich sehe den warmen Schein ihrer teuren Lampen, die um diese Zeit langsam angehen – eine nach der anderen.
Ich sehe die blaue Stunde, die jetzt draußen beginnt.
Ein Mann auf einem teuren Fahrrad, der nach Hause fährt.
Und diese alten Gaslaternen, die als einzige noch von einer anderen Zeit berichten, als es hier mal ein Gaswerk gegeben hat und das hier noch ein Arbeiterviertel war und es noch keine Wessis gab im Prenzlauer Berg.
Ich sehe Kinder auf dem Spielplatz spielen, da unten.
Früher waren das mal meine Kinder und ich konnte ihnen von hier aus zuwinken.
Der Elefant fungiert als Metapher oder Beispiel für einen Sachverhalt, der sich unmöglich leugnen oder übersehen lässt – wie dieses Kinderfoto hier von mir und meiner Schwester in unserem Kinderzimmer, aufgenommen 1975 oder so. Man sieht ihn eindeutig, auch wenn er verschwommen ist und im Hintergrund. Der Elefant in unserem Kinderzimmer war eindeutig dieser Wandfries, mit diesen zehn Figuren, die sich an den Händen halten – dunkle Figuren – es gab auch ein Kinderlied dazu, das ich noch in der Schule gelernt habe, ein Abzählreim… Warum hing dieser Wandfries bis in die späten siebziger Jahre hinein in unserem Kinderzimmer? Und niemand sah, dass das falsch war? Warum posieren meine Schwester und ich davor mit Kuscheltieren und lächeln so unschuldig in die Kamera – ich zumindest? Und warum haben meine liberalen Eltern uns davorgesetzt? Warum fand auch der Kunstlehrer, dieser linke Hobbyfotograf, der das Bild gemacht hat, überhaupt nichts falsch daran? Fand er sogar diese Kulisse ideal für unser Porträt? Warum hat sich nie jemand für dieses Bild geschämt? Der Elefant im Raum ist das dunkle Make-up, das meine Mutter mir regelmäßig an Fasching ins Gesicht geschmiert hat, wenn ich als Spanierin oder Zigeunerin oder Indianerin gegangen bin und auch die verlängerten Lidstriche, die ich meiner Tochter noch ins Gesicht gemalt habe, wenn sie als Japanerin oder Inderin gegangen ist. Der Elefant im Raum – das bin eindeutig ich.