Elephants in Rooms – Monitor 1

Johanna Freiburg (Berlin – O-Ton: Deutsch)

Ich vertreibe mir die Zeit mit einem Stück Natur.

 

Wir sprechen nicht, wenn wir Tee trinken.

Wir trinken Tee, statt zu sprechen.

Wir sprechen nicht, weil wir uns darin üben wollen, zuzuhören.

Wir sprechen nicht, weil wir uns zu erinnern versuchen, zu wie viel Prozent unsere DNA übereinstimmt mit der von Pflanzen und Pilzen und Bäumen.

 

Von da aus, wo ich stehe, sehe ich den Geldautomaten vor meiner Haustür. Mein Vermieter bekommt jeden Monat Geld dafür, dass er den Platz dafür bereitstellt. Dabei sind wir es, die das Piep-Geräusch ertragen und das helle Licht nachts. Vor Kurzem wurde ein Anschlag auf den Automaten verübt, beim Fach, aus dem das Geld kommt, war das Plastik zusammengeschmolzen und der Automat für Wochen nicht mehr zu gebrauchen. Kurz darauf gab es einen weiteren Fall von Brandstiftung, hier in der Nähe von meinem Haus – da wurde ein parkendes Auto in Brand gesteckt. Ich bin nachts wachgeworden, wohl vom Lärm der Feuerwehr. Und der Geruch von verkohltem Gummi und geschmolzenen Kabeln zog durch die offenen Fenster in meine Wohnung – bis in das Schlafzimmer von meinem Sohn, der friedlich weiterschlief. Vermutlich teile ich mit denen, die brandstiften viele Überzeugungen. Aber als ich die Fenster verschloss und durch die Scheiben in die Dunkelheit schaute – aus einem Fenster, durch das ich meine Aussicht genieße, aus einer Wohnung, deren Miete ich in der Lage bin zu zahlen – da hat es hat sich angefühlt, als würden die Anschläge mir gelten.

 

Bhavana Rajendran (Bangalore – O-Ton: Englisch und Malayalam)

Wollen wir nicht einen Tee trinken? Tee? Lasst uns Tee trinken. Wollen wir nicht einen Tee trinken? Es ist Zeit für Tee. Wollen wir nicht einen Tee trinken?

 

Meine Mutter sagt, die erste Tasse Tee am Morgen ist kostbar. Sie muss perfekt sein. Sie sollte richtig heiß sein; halb Milch, halb Wasser. Zucker – nicht zu viel, nicht zu wenig, und stark sollte der Tee sein! Er macht dich wach, bereitet dich auf den Tag vor und gibt dir ein Glücksgefühl. Mein Vater bereitet meiner Mutter jeden Morgen ihre erste Tasse Tee zu. Und meine Mutter sitzt auf genau diesem Holzstuhl – ein Bein ist angewinkelt, das andere hängt locker herunter, ohne den Boden zu berühren. Und dann schließt sie die Augen, denkt an nichts und nippt immer wieder an der großen Tasse. Immer zur gleichen Uhrzeit, jeden Tag. Es ist ihre Lieblingszeit am Tag. Mein Großvater hat meiner Großmutter nie Tee zubereitet. Nicht ein einziges Mal, bevor sie gestorben ist.

 

Ich sehe so viele Autos auf dem Parkplatz.

Die Kinder haben keinen Platz zum Spielen.

Zwischen den Gebäuden ist kein Platz.

Überall Kabel und Rohre.

Der Stamm von einem Kokosnussbaum.

Die Küche meiner Nachbarn,

ihr Wohnzimmer,

ihr Balkon.

Ich weiß nicht, wie meine Nachbarn heißen.

 

Die Pferde, die Pferde, die Pferde sind da.

Die Pferde sind da.

Was für eine tadellose Pferderasse. Die Pferde sind da.

Die Pferde sind da, die Pferde sind da.

Zahme Pferde. Sanftmütige Pferde. Die Pferde sind da. Sattelt die Pferde.

Sattelt die Pferde.

Sattelt die Pferde.

Die Pferde sind da. Die Pferde sind da. Sie sind hier. Die Pferde.

Sattelt die Pferde.

Sattelt die Pferde.

Sie sind hier. Die Pferde. Die Pferde sind da.

Sattelt die Pferde.

Sie sind hier. Die Pferde.

Die Pferde sind da. Sie sind bereit.

Sattelt die Pferde. Die Pferde sind da. Sie sind hier. Die Pferde sind da. Die Pferde sind da.

 

Zhao Chuan (Fengxian, Shanghai – O-Ton: Mandarin)

Ich setze mich und schaue nach draußen.

Ich sehe grüne Gemüsebeete.

In den Beeten sind Insekten, die ich nicht sehen kann.

Ich sehe einen weiten Himmel, den ich in der Stadt normalerweise nicht sehen kann.

Im Winter sehe ich viele trockene Zweige.

 

Ich sehe einen Elefanten in meinem Zimmer. Mit seinen dicken Beinen steht er auf meinem Bett. Seine Stoßzähne haben sich in meinem Waschbecken verkeilt. Seine Ohren schlagen mir fast ins Gesicht. Dieser Elefant! Wie kommt der bloß in mein Haus? Elefant, was machst du da? Er ist riesig. Mit seinem Hinterteil stößt er gegen die Wand.

 

Es heißt, dass dieses Land vor 5.000 Jahren noch im Meer lag. Erst nach und nach entstand auf angespülten Muscheln das Festland, auf dem sich menschliches Leben entwickeln konnte. Einige Siedlungen sind wieder verschwunden, andere konnten wachsen und gedeihen. Man sagt, unter uns liegt ein Band aus Muscheln, das über zehn Kilometer lang ist. Sie sind tief in den Erdschichten verschlossen, völlig isoliert von uns. Wir sind erst letztes Jahr hierhergekommen. Und manchmal sitzen wir am Fenster und schauen nach draußen. Aber das Meer sehen wir nicht.

 

Trinken wir einen Tee. Jetzt ist es aber höchste Zeit.

 

Simon Will (Berlin/Esquinzo, Fuerteventura – O-Ton: Englisch)

Wir befinden uns in einem von diesen Historiendramen, und zwar gerade an der Stelle, an der die Hauptfigur einen tief empfundenen Moment der Einkehr und Melancholie erlebt. Wie üblich geht die Figur ans Fenster und schaut in die weite Landschaft hinaus – gedankenverloren, voller unterdrückter Gefühle. Meistens wird das von Musik untermalt. Wenn ein Orchester das begleitet, sind Worte überflüssig. Die Figur braucht dann nicht mehr zu sagen: „Oh, mein Leben! In was für einer Welt lebe ich bloß!“

Unser Historiendrama aber spielt in der Gegenwart. Das ist etwas ungewöhnlich, denn die Gegenwart ist ja noch nicht vergangen und darum ist sie auch nicht anerkannt als historisches Zeitalter. Es muss erst etwas passieren, etwas Großes, damit dieser Augenblick von der Zukunft abgrenzt wird. Wenn das geschieht, können wir zurückschauen und uns an die Zeit erinnern, als… Bald wird etwas geschehen, und dann sind wir in einem echten Historiendrama.

 

Das Gebäude hier, auf das ich schaue, wurde erst vor zwei Jahren gebaut. Zur gleichen Zeit hatte ich gerade einen Räumungsbescheid erhalten. Mein Vermieter wollte, dass ich aus der Wohnung ausziehe, in der ich mein halbes Leben gewohnt habe. Ich hatte mal eine wunderschöne Aussicht, ich konnte bis zum Horizont sehen. Ich konnte in meinem Elfenbeinturm sitzen, in die Welt hinausschauen und meinen Platz in ihr spüren.

Aber heute sehe ich nur noch diesen großen grauen Elefanten von einem Gebäude und ich schreibe meinem Anwalt, in der Hoffnung das Verfahren gegen meinen heimtückischen Vermieter zu gewinnen, gegen den Hausbesitzer, der mich rauswerfen will, nun, wo die Gegend gentrifiziert ist und er die dreifache Miete erhalten könnte.

Hausbesitz, Landeigentum und Mietzins – das klingt nach 18. Jahrhundert, nicht wahr? Gute Zutaten für ein Historiendrama sind also vorhanden. Und ich muss jetzt nur noch da rausgehen und mich ins Umland stürzen, und hoffen, dass mich jemand in seinen Armen auffangen wird. Ein gutaussehender Unbekannter, der mich rettet, mich an einen neuen Ort bringt, damit ich wieder eine wunderschöne Aussicht habe und weiter über die Welt nachsinnen kann. Das steht mir schließlich zu!

 

Wenn wir mit Papa Tee trinken, dann reden wir nicht über Mama.

Und wenn wir mit Mama Tee getrunken haben, haben wir nie über Papa gesprochen.

Und wir haben nie über das Baby gesprochen.

Über den Bruder oder die Schwester, die nie geboren wurden.

Es ist zu schmerzhaft. Wir haben nie darüber gesprochen.

 

Ohne unser Talent in Frage zu stellen zeichnen wir jetzt ein Selbstporträt. Oder auch ein Selfie, wie es heutzutage gern genannt wird.

 

Sharmistha Saha (Bombay – O-Ton: Englisch, Bengali und Hindi)

Man hat mich gebeten, eine Haube zu tragen, wenn ich am Fenster stehe. Darum trage ich nun diese Haube. Ich stehe am Fenster und bereite mich darauf vor, rauszugehen. Zumindest sieht es das Skript so vor.

 

Ich säe gerade vor der Kamera Knoblauchsamen aus. Hast du schon mal Knoblauch-Chutney gegessen? Knoblauch-Chutney mit Paratha-Brot schmeckt sehr gut. Knoblauch-Chutney passt nicht zu Darjeeling-Tee, aber es passt zu den Teesorten, die in Tontassen serviert werden oder auch zu Cutting-Chai. Knoblauch-Chutney passt ausschließlich zu diesen zwei Varianten. Darjeeling-Tee ist zu niveauvoll und hochwertig.  Günstiger Tee von der Straße – der Cutting-Chai – dazu Knoblauch-Chutney und Paratha-Brot – sehr lecker! Cutting-Chai – mein Favorit. Knoblauch-Chutney. Und Paratha-Brot.

 

Von meinem Fenster aus kann ich in die Küche der gegenüberliegenden Wohnung schauen.

Von meinem Fenster aus schaue ich oft in diese Küche.

Von meinem Fenster aus beobachte ich eine Frau in der Küche, die Roti zubereitet.

Von meinem Fenster aus sehe ich, dass in der Küche dieser Wohnung die Frau oft von ihrem Mann geschlagen wird.

 

Ich habe seit Jahren keine so mustergültigen Pferde mehr besessen.

Ich habe seit Jahren keine so mustergültigen Pferde mehr besessen.

Ich habe seit Jahren keine so mustergültigen Pferde mehr besessen.

Ich habe seit Jahren keine so mustergültigen Pferde mehr besessen.

Ich habe seit Jahren keine so mustergültigen Pferde mehr besessen.

 

Sarah Thom (Sheffield, South Yorkshire – O-Ton: Englisch)

Ich schaue aus dem Fenster und warte auf Menschen.

 

Von meinem Fenster aus kann ich sehr viel vom Himmel sehen.

Ich habe großes Glück: Ich sehe viel vom Himmel und vom Wetter, den Jahreszeiten, die vorüberziehen.

Von meinem Fenster aus kann ich dem zusehen.

Ich sehe, wie die Vögel im Frühling zurückkehren und Nester in den Bäumen bauen.

Und dann, Anfang Herbst, sehe ich sie wieder davonziehen.

Ich schaue aus dem Fenster voller Erwartung.

 

Es ist eine Menge Scheiße passiert, und einige von uns haben stark davon profitiert. Wir können nicht mehr so tun, als wüssten wir von nichts. Wir wissen Bescheid, und wir wissen, dass sich etwas ändern muss. Ich denke, wir wissen sogar, was sich ändern muss. Verändert sich was?

 

Sie singt „Pennyroyal-Tee“ von Nirvana: Ich bin mit allen durch. Ich habe eine ziemlich schlechte Haltung. Setz dich und trink Pennyroyal-Tee! Destilliere das Leben in mir. Setz dich und trink Pennyroyal-Tee! Ich bin ein blutarmer König. Ich kann weder essen noch schlafen. Ich bin ein Lügner und ein Betrüger. Setz dich und trink Pennyroyal-Tee! Ich bin ein blutarmer König.